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EVOLUTION AUF DEM DRAHTSEIL
Erschienen: 2001 Medium: Text auf www.kx-Kampnagel.de (Galerie KX-Kampnagel Hamburg) Autor: Natascha Freundel
Mitbringseln einer biologischen Exkursion in die Randgebiete organischen Lebens gleich rückt Anne Rinn in ihren Installationen, Trickfilmen und Zeichnungen winzigste, dem Laien unvertraute Wesen oder unbeachtete, weil alltägliche Bewegungsabläufe ins Zentrum des Interesses, um in ihnen die großen evolutionären Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Im vermeintlich Fernsten wird so das dem Menschen Nächste kenntlich.
Wie spielerisch Anne Rinns Umgang mit den naturgegebenen Entitäten ist, zeigt etwa eine ihrer neuesten Arbeiten: "Im Bereich des Möglichen". In dieser Rauminstallation tänzeln grazile Gipsfiguren, die von Biologen als vergrößerte Hydren identifiziert werden können, auf Schwebebalken. Es handelt sich um Momentaufnahmen einer jeweils besonderen Bewegungsform: Kriechen, Purzeln und Vervielfältigung. Wunderbar leichtfüßig entfaltet sich hier der Kreislauf organischen Lebens. Schon in früheren Videoarbeiten ("Rotatoria I - IV") findet dieses Formprinzip Ausdruck durch die Verknüpfung mikroskopischer Filmaufnahmen quirliger, transparenter Rädertierchen mit trickfilmartigen Sequenzen umrißhaft gezeichneter, insektenartig flirrender menschlicher Figuren. Vom Rotieren der Wassertiere, ihrer eigentümlich unermüdlichen Aktivität, ist es nur ein kleiner Schnitt zum Flottieren der Menschenwesen, die Gehäusen entspringen und von diesen ebenso wieder einverleibt werden, wie die Rädertiere von einembreitmäuligen Fisch.
Ähnlich schwerelos führen die in die Höhe strebenden medusenhafte Drahtverbindungen in "Tischgespräche" 'von der Natur zur Kunst zurück'. Durch kleine Tische hindurch sind vielzählige Drähte geknüpft, die zu einem bizarren, Gestalt gewordenem Rauch vergleichbarem Gebilde zusammenwachsen, als würden sich die am Zeichentisch entstehenden geistigen Konstruktionen zu lebendigen, kaum zu fesselnden Geisterwesen materialisieren. Die verschlungene Drahtinstallation korrespondiert mit einer Reihe fein strukturierter Zeichnungen. Was dort anfangs noch an die schematischen Illustrationen biologischer Fachlexika erinnert, verliert - oder gewinnt - zusehens an Form, zerteilt sich, ufert aus, wuchert und wächst zu kaum mehr identifizierbaren Objekten, deren organische Wesenheit jedoch umso deutlicher hervortritt.
Rinns Artefakte folgen der Logik jener Märchengedichte, in denen in scheinbar unendlicher Folge ein neues Glied zum Kehrreim hinzutritt, wie in dem Märchen vom Pfannkuchen, der dem Mann, der Henne, dem Gockel, der Ente und der Gans entwischt, - um am Ende doch vom Schwein verschlungen zu werden. Abstraktion und Realismus gehen in Rinns Arbeiten eine erstaunliche Verbindung ein: aus ihrer gewöhnlichen Umgebung herausgehoben und stilisierend bearbeitet, entstehen aus den 'natürlichen' Vorlagen fremdvertraute Körper, die von den repetitiven Mechanismen dessen, was wir 'Entwicklung' oder 'Fortschritt' zu nennen gewohnt sind, erzählen. Am Kleinscheinenden der Natur vermag die Künstlerin Möglichkeiten und Grenzen derartiger Wiederholungsprozesse aufzuspüren.
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