Anne Rinn
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Januar 2002

Text auf www.kx-Kampnagel.de (Galerie KX-Kampnagel Hamburg)

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Berliner Morgenpost vom Sonntag
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Berliner Tagesspiegel (S. 24)
26. August 1997

WEISHEITEN üBER AUßERIRDISCHE
"Die Sicht der Anderen" - Anne Rinns Weltsichten im Konstanzer Kultur-Turm

Erschienen: 25. Februar 2003
Medium: Südkurier, Konstanz
Autor: Alexia Seiler

1977 schickte die NASA die "Voyager" I und II ins All. Mit an Bord: ein Gruß an extraterrestrische Finder der Sonden, sollten diese beim Verlassen unseres Sonnensystems in deren Hände gelangen; an die Außenhaut der Voyagers wurde jeweils eine "Golden Record" angebracht. Darauf gespeichert: Grafische Schemata zur Anatomie des Menschen, Fotografien, Geräusche von der Erde und musikalische Erzeugnisse der Kompositionskultur.

Die Goldenen Voyager-Erinnerungen - Ausgangspunkt für die Arbeit von Anne Rinn, im letzten Jahr Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg und vom Kulturamt der Stadt Konstanz im vergangenen Dezember für drei Monate in die Stadt am See geladen.

Ein wenig kühn klingt in der Beschreibung schon, womit die in Berlin lebende Künstlerin nun nach ihrem Konstanzer Arbeitsaufenthalt die vier Etagen der Galerie im Turm des städtischen Kulturzentrums bestückt hat: Rinn setzt an den Fotografien an, die mit den "Voyagers" durchs Weltall rasen: Repros von Aufnahmen von Vater und Kind, von Blättern, von Schemata über die Kontinentalverschiebung - alles versammelt die 1968 geborene Künstlerin nach einem Blick in die Schaffensphase "vor Konstanz" im Erdgeschoss im ersten Stock des Turms.

Dazu: Texte aus dem Buch "Signal der Erde", in dem Carl Sagan beschreibt, warum gerade die ausgewählten Bilder durchs All reisen. Da erfahren wir, dass nach Kritik an der vermittelten passiven Rolle der Frau nun auf einem Foto die Dame den Arm grüßend gen Weltall heben darf, und dass im Zieleinlauf der Olympischen Spiele Angehörige unterschiedlicher Ethnien zu sehen sind. Die amerikanischen Texte der Siebziger - eine Reise zurück in eine heute naiv anmutende Welt der frühen political correctness und der heute schmunzeln machenden Bemühung, ein Kompendium über die Erde zu erschaffen. Eine nachdenklich machende Reise aber auch, konzentrieren sich Bilder und Texte doch auf Nordamerika und Europa und sparen im Heile-Welt-Bild konsequent Hinweise auf Kriege und Naturkatastrophen aus.

Die - unfreiwillig - komischen, manchmal auch gerade in dem, was nicht gezeigt oder gesagt wird peinlich berührenden, einstmals bitterernst gemeinten Kommentare geben die Richtung für Rinns eigene Tuschezeichnungen im zweiten Stockwerk des Turms vor: Rinn schafft hier ihre eigene Weltsicht. Bedient sich aus der Wissenschaft, um sie - respektvoll - zu ironsieren und teilt so einen Seitenhieb auf die Wissenschaftsgläubigkeit der Menschheit aus. Zeichnet und textet oder zitiert einen augenzwinkernden Kommentar auf die "Voyager"-Bilder und deren Fußnoten. Kurz, sie zeigt "Die Sicht der Anderen", wie der Ausstellungstitel hier auf die Künstlerin selbst verweist. Wie die konkret aussieht? Da thront das Abbild eines überdimensionalen Eies, und darunter die Frage, warum dasselbe realiter beim Kochen platzt, wenn man es nicht angestochen hat. Oder: Rinn hält ein Plädoyer, in Zeiten zahlreicher "sportlicher Lauscher", die die Datenleitungen anzapfen, doch wieder zu Rauchzeichen überzugehen.

Im dritten Stock die Krönung, die weitere Dimension der "Sicht der Anderen": Die fiktiven Außerirdischen haben Rinns Bilder erhalten und Zeichnungen und Kommentare zurück zur Erde gesandt. Abstrakte, zum Teil organisch ornamentale, zum Teil technisch wirkende Zeichnungen sind das. Und dazu: Weisheiten über den Lebensraum der Extraterrestrischen Lebensform, wiederum nur so gespickt mit Ironie.

Anne Rinns Projekt mag in der bloßen Beschreibung rein verspielt und vielleicht sogar verquer versponnen anmuten - in der praktischen Anschauung funktioniert es jedoch perfekt und überzeugt in höchstem Maße. Skurril, hintergründig, intelligent, augenzwinkernd-witzig, ironisch - das ist vollkommen in sich stimmig. Und legt die Messlatte für die nachfolgenden Generationen der Stipendiaten im Konstanzer Turm hoch an.