| Katalog Januar 2003 |
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MILKY WAYS Verzeichnis von Himmelfahrten
Erschienen: Januar 2003 Medium: Katalog Autor: Clemens Ottnad
Adams Rippe
Die Überlieferung menschlicher Zivilisation ist: Den Samenboomerang in´s adamitische Firmament schleudern und darauf hoffen, die Reduplikation von Erdenwesen sichere der Nachkommenschaft die Erinnerung an Urheber und Kultus ihrer selbst. Aus dem Überflug der Menschheitsgeschichte wirft der dann abgeprallte Sternenstaub Erinnerungsanker in den fruchtbaren Lößboden: selbstlose Kindheiten, Ursprünglichkeiten, trocken-faltene Väterhände, die auf Lebenswege(n) führen. In den biotopisch eingerichteten Raumstationen lebten die Generationen unserer Gedanken und Gefühle - sofern sie nicht in eins fielen - jedenfalls weiter.
Und die Erde ist dann doch eine Scheibe, eine golden glänzende, und eine ebensolche können sich Außer(-)Irdische abschneiden, sollten sie zwei von Menschen in Umlauf gebrachten frohbotschafterischen Flugobjekten begegnen. Am 20. August und am 5. September 1977 wurden von der NASA die Sonden Voyager I und II gestartet, um den Weltenraum zu erforschen. Nachdem Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun passiert waren, stellen die "Reisenden" inzwischen die beiden von der Erde weitest entfernten Technofakte im Universum dar, die von Menschenhand und -Hirn geschaffen wurden und im Irgendwann unser Sonnensystem verlassen werden. Ihre Expedition in die Unendlichkeit wird etwa im Jahr 2020 enden, wenn die schwächer werdenden elektrischen Aggregate an Bord eine Kommunikation mit der Erde mittels DSN (Deep Space Network) nicht länger zu gewährleisten imstande sein werden.
Noch ziehen sie also ihre Kreise, bewegen sich auf Kreisbahnen oder werden selbst umkreist. Aus unendlichen Weiten senden sie fotografische Aufnahmen oder naturwissenschaftliches Zahlenmaterial auf den langen, extraterrestrischen (e.t.) Weg nach Hause. Um nun wiederum - im Falle einer Begegnung mit "intelligentem Leben" - den Außerirdischen Eindrücke menschlichen Wesens, Zivilisation und Kultur zu vermitteln, sind an der Außenhaut der Raumschiffe zwei Golden Records jeweils identischen Inhaltes angebracht. Die Voyager-Platten enthalten grafische Schemata zur Anatomie des Menschen, insbesondere seiner Fortpflanzung, Fotografien globaler Alltagsethnografien, ebenso von Landschaften und Tieren, architektonischen wie technischen Denkmälern, überwiegend aus dem nordamerikanischen und europäischen Umkreis gesammelt. In 55 Sprachen werden von Altakkadisch bis Serbisch Grüße von der Erde übermittelt, Hörbeispiele spiegeln Eindrücke von Regen und Feuer, Hund und Schimpanse, Schnellzug und Traktor, von menschlichem Lachen und Küssen wider; das Kratzen und Ritzen der Keilschrift-Virtuosen mag als zweistromiges Bedenkenträgern wider uneingeschränkten Fortschrittsglauben nachklingen. Der musikalische Kanon selbst umfaßt Kompositionen von Bach, Beethoven und Chuck Berry sowie Gesänge bulgarischer wie auch anderer, außereuropäischer Indianervölker.
Auf dem goldglänzenden Aluminiumgehäuse ist die Gebrauchsanweisung der Golden Record, vergoldete Erinnerung also, verzeichnet, um menschliches Leben und Kultus vielmilliardenfach abzuspielen, überirdisch kommerzielle Überlebensstrategien zu entwickeln, um - goldenen Schallplatten der Pop-Welt gleich - eine Werthaltigkeit von Daseinsformen, Riten und Individuisierung einspielen zu können. Unentdeckt bleiben dabei der phönizische Schnauzenkuß, Kriege und andere Katastrophen, columbianische eingeschlossen, und das eifrig wollüstige Flüstern der Kolumbinenzwitter vielverzweigter Generationen präsidialer Erdteufel selbst. - Und, pulverisiert, stellen Adams Rippen den Zeichenvorrat einer neuen Schöpfungsgeschichte dar.
Anne Rinn
Mit Zeichnungen und zugeordneten Text(Bezeichnung)en erfassen Anne Rinns Wahrnehmungs- und Vorstellungswelten eine andere, konter-evolutionäre "Sicht auf unsere Erde": Die Sicht der Anderen (im singularen Sinn: der Zeichnerin, als Repliken pluralisch: i. e. der Außerirdischen). Der Ursprung ein unvollkommenes Ei, ein leicht embryonal verkrümmtes Menschenfigürchen hält die seidenen Fäden geo- wie heliozentrischer Kreisbahnsysteme in seinen Händen, als ob es Luftballone steigen lassen will. Das planetarische Karussell dreht sich immer schneller um den Sonnenball, stockt, gerät auf die schiefe Bahn, verfängt in eigens entwickelten Mythologien der Zeichnerin. Unbändig paart sich und gebiert ihre paradiesische Urmutter Lilith als erste Menschin hundert und tausendgestaltige Schnabelteufel und Lurchflügler, feiste Tentakelzwerge und dickbäuchige Schwanzkönige.
Millennien später in der Geschichte versäumt die Zeichnerin nicht, die Ellipsen der Natur- und Menschenkatastrophen zu zeigen, wenn der Ginkgobaum zwar etliche Blätter abwirft, die Atombombe auf Hiroshima dennoch überlebt. Ihrer Kleidung enthoben geraten ebendort Frau und Mann in den Implosionsstrudel, in dessen Mitte, im Auge, das UrEi die Materie zerschmilzt und sie aus Rauch neu Geborene werden. Anne Rinn erweckt so apokryphe Bildwelten, entwickelt Gegenentwürfe zu kanoniserten Heilslehren weiter, die die von missionarischem Eifer erfüllten intergalaktischen Conquistadores, wie die des Voyager-Projektes, in beredter Verschwiegenheit als Paradies des blauen Planeten zu verbrämen suchten.
In Anne Rinns Zeichenfolgen steigen Raketen auf und fallen Menschlein meisterlich vom Himmel. Heldenhündinnen mit zärtlichen Kosenamen verglühen unversehens früh in ihrem Weg-Gefährten-Gefährt auf der vierten Umlaufbahn. Und ein bronzierter Himmelsstürmer der Akademie der Wissenschaften ? J. A. GagA.Rin († 1968; Andere werden da geboren) - landet Bruch auf russischem Acker und straft die Geschichte (meridial zwischen Poltava 1709 und 1389 den Feldern der Amseln gelegen) Lügen.
Antworten außer Irdischem
Nachdem sie ihre Sicht der Anderen in?s Weltall(ES) gesandt hat, erhält Anne Rinn Antworten von Außerirdischen in der ihr eigenen Zeichnungs/Zeichen/Sprache. Es scheint so, als ob Sammlern von Schwarzweiß Recht widerfahre, samt all denen, die behaupten, daß Nachtträumen als pulsierende Delirien erweiterter Wahr- und Wirklichkeiten erfahrungsgemäß monochrom verlaufe. Inter stellaris im Aufnehmen des Unirdischen fortschreitend tritt die Zeichnende als Landvermesserin, Sternstaubbefühlerin auf. Sie ist Kundschafterin dessen, was ist, was sein könnte.
Territoriale Ansprüche, die terra incognita eines unbezeichneten, weißen Blattes Papier, wie die einer überbewußten Galaxie, erhebt sie durch die Unveränderlicherkeit des Tuschstriches rapidogrâve in ihrem Zeichenvorrat und Grundsinnschatz. Nach einer Heliopause Zeit folgt auch tatsächlich die Besinnung. Rinnsale, lineare, gebären sich, gebärden sich aus dem Punkt, dem Beginn mit etwas Einfachem und führen in Umlaufkreise zurück. Dort explodieren, implodieren sie, formen sich neu zu konzentrischen Cumuli, Zellstrukturen, Vegetabilsystemen, Zeicheninseln und Körperfeldern, die physiologisch plausibel funktionieren. Leibhaftig Organisches löst sich zunehmend auf, um in zylindrischen Versuchslaboranordnungen zu epilepsieren.
Die Irdische lebt auf dem eigenen Zeichenstern, die Außerirdischen aber leben auf ihren Sternenzeichen. - Die Ausgießung aus Fleischmembranen und anderer Zellhaufen, mitsamt heiligen Muskelgeistern, folgen den grafischen Fährten polyper Ausbildungen. Vermeintliche Samenfäden nisten sich an elektronische Leiterplatten an, um intermateriale Verbindungen zu schaffen, Sondierungen zwischen Myomen und blechernen Auspufftöpfen, in einem schwanger sich aufblähenden Galaxienbauch implantierte Chipsätze.
Antennen, Fühler, Sensoren, Kanalsysteme übertragen die Wellen(linien), die unendliche Serpentinata biomorpher Apparatik. Vom Tuschepuls abgeschnitten, im Fluß aufgehalten sterben dagegen einzelne Linienbruchstücke ab. Die Transformationen von Biomasse und Maschinenwesen schreiten dennoch unaufhaltsam voran; aus einem zerebralen Gebilde, dessen Überhitzungsschutz aus Gehirnstromkaminen besteht, bricht Gedankengedärm aus, stülpen sich Wurmfortsätze aus der Außenschale. Den angeschnittenen Fangarmen entrinnen schließlich Tropfengebilde, ergießt sich der goldene Schauer neuen Lebens. Strömung, Störung, Verströmen, zurück zum nimmer versagenden Fließen des Zellstroms, stellen szenische Dokumentationen eine für bar genommene SciFi-Wiedergängerei imperial gedachter Menschenpläne dar. Nach Ur-, Nach- und Antwortbildern findet sich der Besucher des Linienplanetariums vor dem Angesicht von Parallelwelten wieder, Zwischenwelten inneren Beäugens und der selbstdritten Zeichenhand.
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