Anne Rinn
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Text auf www.kx-Kampnagel.de (Galerie KX-Kampnagel Hamburg)

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Berliner Tagesspiegel (S. 24)
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AUSSTELLUNG - ABSURDITäTEN AUS DER WELT DER WISSENSCHAFT: ANNE RINNS ZEICHNUNGEN IM TTR-TECHNOLOGIEPARK
Wo der Blubblimubb regiert

Erschienen: 26.05.2006
Medium: Reutlinger Generalanzeiger
Autor: Armin Knauer

Ganz klar, hier schwebt ein Raumschiff durch den Äther. Grüne Bleistiftstriche auf weißem Papier, ja, das muss es sein. Oder doch nicht? Erste Zweifel. Blick in die Titel-Liste: »Ein Kännchen weit« steht da unter Nummer sieben, also nochmal hingeguckt, und in der Tat, das Raumschiff könnte auch eine fliegende Teekanne sein. Offenbar (der besseren Aerodynamik wegen?) auf einen Automotor aufgeschraubt. Und der Landesteg ist eine Gürtelschnalle.
Auf den Bildern von Anne Rinn purzeln die Realitäten durcheinander. Was gerade noch wie ein Blick in mikroskopische Feinheiten gewirkt hat, könnte beim nächsten Hinschauen eine kosmische Struktur sein. Was eben noch wie eine Pflanze aussah, könnte auch eine technische Apparatur sein.

Prinzip der Surrealisten

Ausgerechnet das Fundament der abendländischen Weltanschauung hat sich die gebürtige Tübingerin ausgeguckt, um ihre ironischen Spielchen zu treiben. Die Überzeugung von der Gültigkeit von Wissenschaft und Technik, bei Rinn läuft sie voll ins Leere. Es ist das alte Prinzip der Surrealisten: Der Betrachter wird mit Bekanntem geködert; sobald er zugreift, weicht der Boden, weil der Kontext nicht hält, was der Köder verspricht.

Bei ihrem Werk »Akademgorodok« ist schon das bloße Ausmaß ins Absurde abgedriftet. Eigentlich ist es eine Zeichnung, und Zeichnungen sind meist klein. Diese hier aber klettert von Balkonbrüstung zu Balkonbrüstung die Fassade des Technologiezentrums Tübingen-Reutlingen (TTR) hoch. Unterwegs verwandeln sich primitive Meeresbewohner in vernetzte Industriekomplexe, um knapp unterm Dach wieder im Mikroskopischen zu münden - nun als Schaltkreismuster von der Halbleiterplatte. Die Riesenzeichnung hat die Künstlerin extra fürs TTR gemacht, und hier, wo in diversen Büros die Spezialisten an neuen Steuerungen tüfteln, passt sie ja auch hin. Der Titel, ausgeliehen von einer künstlichen Wissenschaftsstadt in Sibirien, klingt wie eine Parodie auf den Technologiewürfel, der einsam im Grünland am Rande des Industriegebiets zwischen Reutlingen und Tübingen steht.

Anne Rinn, 1968 geboren, ausgebildet in Wien und Moskau, heute in Berlin lebend, ist fasziniert von der Wissenschaft. Kühl und technisch wirken ihre Bilder mit Buntstift, Feder oder Filzstift, mit dem sorgfältigen Strich eines Reißbrett-Entwurfs. Umso bereitwilliger lässt man sich auf sie ein und tappt in die nächste Falle. Im TTR-Büro stößt der Besucher auf ein Blatt mit Robotern, die ihre gesammelte Komplexität dem Aufpusten und Zerplatzenlassen von Seifenblasen widmen. Titel des Blatts: »Blubblimubb«. Im Treppenhaus lauern weitere Hightech-Entwürfe, etwa für einen Fläschchenwärmer Marke »Alien V«.

In den Seitengängen bewerfen sich Adam und Eva mit Rippen und Äpfeln, und die Evolution geht auf kuriose Abwege. Oben im Konferenzraum infizieren schwarze und grüne Wolken eine romantische Berglandschaft mit dem Virus der Zivilisation, aus Alpenmatten werden Genlabors.

Botschaft an Außerirdische

Selbst vor der Nasa macht Anne Rinns Spiel mit Absurditäten nicht halt. In der Serie »Die Sicht der Anderen« greift sie die Idee der Weltraumbehörde auf, eine ihrer Sonden mit einer eingravierten Botschaft auszustatten: Außerirdische Finder sollen sich anhand dessen ein Bild von der Erde machen können. Anne Rinn schickt den Extraterrestriern ihr ganz eigenes Bild irdischen Lebens entgegen. Und was, wenn diese nun ihrerseits längst eine solche Botschaft an uns losgeschickt hätten? Auch das hat Rinn bebildert. Ob dabei die Irdischen oder die Außerirdischen den größeren Aberwitz verbuchen können, darf der Betrachter entscheiden. (GEA)