| | | Adlershof Magazin (Heft 1, Seite 24 - 28) November 2000 |
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INSIDER IM ELFENBEINTURM Annäherung zwischen Kunst und Wissenschaft
Erschienen: November 2000 Medium: Adlershof Magazin (Heft 1, Seite 24 - 28) Autor: Sylvia Nitschke
Wissenschaft nur noch im Elfenbeinturm? Kunst nur für Insider? Im Zeitalter rasanten technischen Fortschritts gibt es zwei Welten, die kaum gegensätzlicher sein könnten. Gibt es zwischen Kunst und Wissenschaft eine gemeinsame Sprache? Fördert der Dialog den Blick für die Zusammengehörigkeit, verstärkt er die Wechselwirkung?
Internationales Begegnungszentrum, Berlin-Adlershof, Anfang Mai 2000: Ein Knistern liegt in der Luft, als Strichmännchen überblendet von kleinen durchsichtigen Gebilden über die Leinwand huschen. Das erste Projekt im Dialog von Wissenschaft und Kunst wird vorgestellt _ "Rotatoria", ein ungewöhnliches Projekt, ein mutiger Versuch, Wissenschaft und Kunst in Adlershof zu vereinigen. Ungewöhnlich auch der Teilnehmerkreis: auf der einen Seite allgemein als rational nüchtern eingestufte Wissenschaftler, auf der anderen Seite Künstler.
Künstler und Wissenschaftler finden heute nur schwer eine gemeinsame Sprache. "Meine Texte waren knallhart, trocken, sehr strukturiert", erinnert sich Silvea Mohr, wissenschaftlicher Kopf des Rotatoria-Duos, an den Beginn des Projektes. "Anne Rinn (ihr künstlerischer Counterpart) dagegen schrieb poetisch, spielerisch, ja sogar ein bißchen geheimnisvoll: Ich war erschrocken, daß der Gegensatz allein in der Sprache schon so kraß ist und habe mich gefragt, wie man das vereinbaren kann.
Und damit trifft sie auch den Kern des Problems: Wenn Wissenschaftler und Künstler heute in einen Dialog treten, treffen in der Regel Spezialisten aufeinander: Ihre Erfahrungen und ihr Wortschatz entstammen unterschiedlichen Welten. Ihre Tätigkeitsfelder unterteilen sich in unzählige Kleingruppe und Disziplinen, in denen sich jeweils eigene Sprachen und Codes entwickelten. Für Außenstehende sind sie kaum noch verständlich.
Die Sperre zwischen Wissenschaft und Kunst zu durchbrechen ist darum Ziel des Adlershofer Kunstprojektes "Phasen", dessen erstes Produkt "Rotatoria" nun vorliegt. "Wissenschaft und Kunst haben doch eine ganze Menge gemein", betont Anne Rinn. "Alles beginnt mit einer Idee, in die ich ganz viel hineinzubringen versuche. Und man muß dieser Idee natürlich einen Mantel geben, ähnlich in der Wissenschaft, wo das wissenschaftliche Ergebnis eine Struktur haben muß." Unverzichtbar ist auch "die Liebe zum Detail". "Ich finde es in sich spannend, hinter einen Mechanismus zu kommen, egal, ob etwas dabei herausspringt", schwärmt sie. Und Silvia Mohr nickt mit dem Kopf, denn auch sie forscht um des Forschens willen. Ihr Dissertationsthema "Der mikrobielle Umweg" - Basis des Kunstprojektes - ist reine Grundlagenforschung.
Die junge Wissenschaftlerin am Adlershofer Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei erforscht seit drei Jahren die Fraßbeziehungen von Rotatorien und Einzellern. Rotatorien sind winzige, durchsichtige Wassertierchen, die sich schwebend in allen nur denkbaren feuchten Lebensräumen bewegen und den meisten von uns noch aus dem Schulunterricht als Rädertierchen bekannt sein dürften. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen steht die Frage: Wieviel Energie gelangt wirklich über den mikrobiellen Umweg wieder in das klassische Nahrungsnetz? Für den Wissenschaftler heißt das in Kurzform: die klassische Nahrungskette besagt, Sonnenenergie wird von Algen in organische Energie umgewandelt, die über höhere Organismen wie die Rotatorien zu den Fischen und letztendlich auch bis zu den Menschen weitergereicht werden kann. Aber Algen geben einen Teil der energiereichen, organischen Substanz ans Wasser ab. Diese Energie nimmt einen Umweg über ein anderes, nämlich das mikrobielle Nahrungsnetz, das aus Bakterien und Einzellern besteht. Fressen nun Rotatorien diese Bakterien oder Einzeller, fließt die Energie wieder in das klassische Nahrungsnetz zurück.
Kann aus diesem wissenschaftlichem Thema ein künstlerisches Werk werden? Neugierig hat sich Silvia Mohr auf das Abenteuer eingelassen. Eher zufällig lernte sie Anne Rinn, eine Berliner Installations- und Videokünstlerin, kennen. Die beiden jungen Frauen waren begierig, in den Bereich der anderen hineinzuschnuppern. In diese Zeit fiel auch der Start des Adlershofer "Phasen"- Projekts, das den letzten Anstoß für die Umsetzung eines von Anne Rinn lang gehegten Wunsches gab, nämlich ein wissenschaftliches Thema mit dem notwendigen Background künstlerisch zu bearbeiten. Sie hat die Rotation aufgegriffen und in vier Filmschleifen in Beziehung zum Menschen dargestellt. Rotation gibt es auf jeder Stufe des Lebens, so Anne Rinns Blickwinkel. Und energetisch geladene Tiere und Menschen steigern sich mit ungeahnter Kraft in ihren Körperbewegungen, bis sie sich, den Rotatorien gleich, um sich selbst drehen. Es beginnt ganz langsam im ersten Film mit einem Menschen, der sich in einer engen Kiste käfergleich, embryonenhaft um sich selbst dreht und durch Beschleunigung dieser Sequenz seine körperliche Identität verliert. Der zweite Film zeigt eine auf dem Kopf stehende Gruppe von Menschen in der Kiste, die mit synchronen gemächlichen Bewegungen für einen kurzen Augenblick die Kiste öffnen können. Dies mündet in den dritten Film, in dem die Menschen aus der Kiste gesogen und ins Freie geschleust werden und sich als Strichmännchen zwischen real gefilmten Rotatorien schwerelos tänzelnd weiterdrehen. Der vierte Film verbindet diese endlosen Kreisläufe nunmehr nach dem Matrjoschka-Prinzip mit dem Fressen und Gefressenwerden und kreist damit um die Zerstörung und Reproduktion des Lebendigen. Die Energie geht dabei auf dem Umweg nicht verloren, so Anne Rinns Fazit.
Der Beifall unter den wissenschaftlichen Zuschauern im Internationalen Begegnungszentrum in Adlershof war an jenem Tag noch eher verhalten. Silvia Mohr dagegen zeigte sich begeistert: "Niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen, eine Verbindung von Rotatorien zum Menschen herzustellen." Der Beitrag hat die anwesenden Wissenschaftler und Künstler zu einer regen Diskussion herausgefordert und einen Schritt in Richtung Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst weitergebracht. Dennoch kann es eine wirkliche Symbiose von Kunst und Wissenschaft nur in einer Person geben, so die einhellige Meinung von Silvia Mohr und Anne Rinn.
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