 |     |  | Wandzeichnung, Installation, Video 04. November 2010 |
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KEEP YOUR BOOTS MUDDY Rede zur Ausstellungser�ffnung
Erschienen: 04. November 2010 Medium: Wandzeichnung, Installation, Video Autor: Christoph Kivelitz
Die Flie�- und Stillgew�ssersimulation des Umweltbundesamtes ist sicherlich ein ungew�hnlicher Rahmen f�r eine Ausstellung zeitgen�ssischer Kunst. In einem gigantischen Versuchslabor werden hier Bedingungen nat�rlicher Gew�sser simuliert. St�rungen und Ver�nderungen von nat�rlichen Lebensr�umen werden nachvollzogen, um deren Auswirkungen und M�glichkeiten der Regeneration zu ergr�nden. Anne Rinn bezeichnet ihr k�nstlerisches Projekt in diesem futuristisch anmutenden Szenarium als Exkursion, geht es doch zun�chst darum, durch eine systematische Recherche die allt�glichen Abl�ufe, Zielsetzungen und Verhaltensmuster der hier arbeitenden Menschen nachzuvollziehen und zu verstehen. So hat ihr k�nstlerisches Vorhaben zu Teilen den Charakter einer dokumentarischen Reportage. Dieser Aspekt spiegelt sich in besonderer Weise in dem Video, in dem Sequenzen der wissenschaftlichen Arbeit beschrieben und durch sinnf�llige Ausschnitte aus Interviews hinterlegt werden. Doch Anne Rinn geht weit �ber diese reine Dokumentation hinaus. Sie zielt darauf, die f�r uns kryptisch erscheinende Arbeit des Wissenschaftlers nicht nur selbst zu durchdringen, sondern diese in ihrer gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Bedeutung einer breiteren �ffentlichkeit zuzuf�hren, damit also die in unserer Gegenwart un�berbr�ckbar erscheinende Distanz von Wissenschaft und �ffentlichkeit anzutasten. Dabei umrei�t sie gleichzeitig Ber�hrungspunkte von Kunst und Wissenschaft, um hier�ber Differenzen in der Herangehensweise und Ausrichtung sichtbar werden zu lassen.
Auf einer �bergreifenden Ebene betrifft das Projekt Anne Rinns die problematische Wechselwirkung von Mensch und Natur in heutiger Zeit. Damit er�ffnet sie ein Themenfeld, das seit der Romantik in immer neuen Konstellationen problematisiert wurde. Ein Widerstreit stellt sich etwa in einem Zitat des englischen Dichters Oscar Wilde dar: Die Natur ist so unbequem. Der Rasen ist hart und buckelig und feucht und wimmelt von schrecklichem Ungeziefer. [�] W�re die Natur wohnlich, dann h�tten die Menschen nie die Architektur erfunden, und ich ziehe die H�user dem freien Himmel vor. In einem Haus f�hlen wir uns alle im richtigen Verh�ltnis. Alles ist uns untergeordnet, f�r uns und zu unserem Behagen eingerichtet. Selbst der Egoismus, der f�r ein gesundes Gef�hl der menschlichen W�rde so unentbehrlich ist, entsteht ganz und gar aus dem Leben im Hause. [�]
Mensch und Natur werden hier in ihrer Gegens�tzlichkeit empfunden. Die Natur sei dem Menschen feindlich und seiner individuellen Entwicklung zutiefst abtr�glich. Das Haus als vom Menschen geschaffene Kunstwelt wird dem Nat�rlichen als positives Gegenbild konfrontiert. Der expressionistische Architekt Paul Scheerbart stellt dem Antagonismus von Mensch und Natur ein hierarchisches Konzept gegen�ber: Die Erdoberfl�che w�rde sich sehr ver�ndern, wenn �berall die Backsteinarchitektur von der Glasarchitektur verdr�ngt w�rde. Es w�re so, als umkleide sich die Erde mit einem Brillanten- und Emailschmuck. Die Herrlichkeit ist gar nicht auszudenken. Und wir h�tten dann auf der Erde �berall K�stlicheres als die G�rten aus tausend und einer Nacht. Wir h�tten dann ein Paradies auf der Erde und br�uchten nicht sehns�chtig in den Himmel zu schauen.
Die Sch�pfung des Menschen verm�ge die Erde zu veredeln und einem Paradiesesgarten anzuverwandeln. Das k�nstlich Geschaffene ist nicht das der Natur Gegens�tzliche, wie bei Oscar Wilde, sondern die Vollendung des nat�rlich Gewordenen. Damit entwirft der Architekt das Konzept einer verweltlichten Religion.
Eine auf Gleichwertigkeit zielende Haltung artikuliert sich demgegen�ber beim Maler Paul C�zanne, der Kunst als eine Harmonie parallel zur Natur verstehen wollte. Das Bild sei nicht Repr�sentation oder �berh�hung von Natur, sondern dieser gleichwertig � in einer Analogieerfahrung � zur Seite gestellt. Eine Geste der Demut artikuliert sich schlie�lich bei den modernen �kologiebewegungen, die versuchen Mensch und Natur wieder in einen harmonischen Einklang zu bringen und eine weitergehende Zerst�rung und Vernichtung nat�rlicher Ressourcen durch eine ganzheitliche Lebenseinstellung zu vermeiden. Diese auf Vers�hnung zielende, oftmals missionarisch sich gebende Haltung spiegelt sich im k�nstlerischen Diskurs von Joseph Beuys wider.
Das Projekt von Anne Rinn ist vor dem Hintergrund dieser Diskussionen zu betrachten. Doch in unserer Gegenwart ist die Gewichtung von Mensch und Natur weitaus vielschichtiger und komplexer als in den zitierten Beispielen.
Ins Zentrum ihrer k�nstlerischen Arbeit r�ckt Anne Rinn Wissenschaftler und Techniker als Menschen, die ihren eigenen Stellenwert in der Laborsituation der Simulationsapparatur beschreiben und gleichzeitig ihren Standpunkt der Natur gegen�ber artikulieren. Die Forschungsmitarbeiter umrei�en in knappen Statements ihre t�glichen, weitestgehend zur Routine gewordenen Verrichtungen und die dadurch bei ihnen ausgel�sten Gedanken und Empfindungen. Sie schildern, dass die erste Begegnung mit der Simulationsanlage bei ihnen Respekt und Faszination ausgel�st habe. Die dabei gew�hlten Worte evozieren Naturbeschreibungen aus der Zeit der Romantik, scheint doch auch hier eine Haltung von Erhabenheit und Demut angesichts kaum fassbarer Gr��e durch, der romantisch gef�rbten Betrachtung eines Bergpanoramas oder einer endlos scheinenden Meereslandschaft durchaus vergleichbar. Der Mensch figuriert hier als verschwindendes R�derwerk in einer gigantischen Maschinerie, der ein Eigenleben innezuwohnen scheint, die aber ohne Pflege und Wartung durch den Menschen zum Stillstand kommen w�rde.
Gleichzeitig ist es aber wiederum der Mensch, der die harmonischen Abl�ufe � etwa durch Hinzuf�gen von Giften oder durch Ver�nderung von Strukturen � aufbricht und St�rungen in das System einbringt, um dann wiederum M�glichkeiten zu erforschen, die urspr�ngliche Harmonie wieder herzustellen. Die Vergleichsgr��e ist dabei immer wieder das nat�rliche �kosystem, wird doch eine m�glichst gro�e Identit�t zwischen der Simulationsanlage und dem nat�rlichen Gew�sser vorausgesetzt.
Die Simulationsanlage funktioniert also in gewisser Weise parallel zur Natur, wobei doch auch Abweichungen zu beobachten sind. Eine im Video zu Wort kommende Wissenschaftlerin betont etwa ausdr�cklich, dass zwei Vergleichspflanzen mit identischem Gewicht in der Ausformung der Bl�tter v�llig unterschiedlich sein k�nnen, wird doch unter k�nstlichen Bedingungen eine Art Kr�ppelwachstum und maximale Verdichtung der Materie � im Sinne der Anpassung an das k�nstliche System � bef�rdert.
Die ausgew�hlten Statements der Forschungsmitarbeiter lassen deutlich werden, dass ihre Einstellung gegen�ber der Simulationsanlage in vergleichbarer Weise komplex und widerspr�chlich ist wie der Natur selbst gegen�ber. So sind sie sich zwar bewusst, selbst Erfinder und Sch�pfer der gesamten Anlage gewesen zu sein. In ihrem Funktionieren habe diese sich jedoch als eigenwertiger Organismus von ihnen abgel�st, um eine eigene Dynamik zu entwickeln. Der Mensch hat sich nunmehr den durch ihn selbst freigesetzten Kr�ften zu unterwerfen, sich ihnen einzuordnen, um sich jedoch gleichzeitig au�erhalb und �ber diese zu stellen, ist er doch bef�higt, das System zu st�ren, zu ver�ndern und zu analysieren, letztendlich auch zu zerst�ren. In �hnlicher Weise paradox ist die Beziehung des Menschen zur Natur, aus der er als biologisch determiniertes Lebewesen hervorgegangen ist. Als solches ist er von ihrem Fortbestand und ihrer harmonischen Ordnung abh�ngig, um sich doch aus ihr herauszul�sen, sich ihr zu entfremden und sich �ber sie zu erheben, sich der Gefahr der Zerst�rung seines Lebensraumes bewusst.
Die Simulationsanlage versteht sich so letztendlich gar als ein gigantisches Kunstobjekt, das die Natur � einem Landschaftsbild durchaus vergleichbar � repr�sentiert und ihr analog funktioniert, ohne mit ihr vollends identisch werden zu k�nnen. Gleichzeitig figuriert sie eine Art Idealbild, das der Natur vorgeordnet ist, k�nnen hier doch Situationen k�nstlich herbei gef�hrt werden, die L�sungen f�r St�rungen im �kosystem antizipieren und die M�glichkeit einer Wiederherstellung von Harmonie suggerieren. Das Verh�ltnis zwischen der Apparatur und der Natur ist so durch eine permanente Spannung von Ann�herung und Differenz gekennzeichnet.
Anne Rinn greift nun also in dem ihr zur Verf�gung gestellten Raum Fragmente aus dieser Simulationsanlage auf, um sie im Rahmen ihrer Installation als Fundst�cke wie Skulpturen zu isolieren und damit von ihrem urspr�nglichen Zusammenhang abzukoppeln. Dieser funktionale Kontext wird auf einer Ebene durch die Videoarbeit, in einer der Rinnen ausgestellt, sowie durch die alles verbindenden Zeichnungen neu konstruiert, gleichzeitig aber aus einer erweiterten Perspektive neu betrachtet.
In der zentralen Wandarbeit, einer technischen Konstruktionszeichnung durch die Betonung der Umrisslinien nahe stehend, nimmt die K�nstlerin Segmente der Ger�tschaften der Simulationsanlage skizzenhaft auf, untereinander durch Linien, Rohre und Schl�uche verbunden. Schemenhaft in dieses Geflecht eingebunden sind auch einige der in Schutzanz�ge vermummten Wissenschaftler, die hier jedoch weniger als Akteure als vielmehr als Bestandteile dieses Systems in Erscheinung treten. Anne Rinn verschiebt das wissenschaftliche Geschehen hier in gewisser Weise auf eine Metaebene, auf der sich das Verh�ltnis von Mensch, Wissenschaft und Natur vielfach gebrochen widerspiegelt. Die Simulationsanlage ist ja schon eine Parallelkonstruktion zur Natur, wie oben ausgef�hrt einem Landschaftsbild vergleichbar. Diese Parallelkonstruktion wird nun selbst zum Thema der k�nstlerischen Arbeit Anne Rinns, gleicherma�en aber auch das Verh�ltnis der Anlage zum Naturvorbild und der Stellenwert des Menschen zu beiden Bezugsebenen.
Das f�r den unvoreingenommenen Betrachter Ungreifbare und Unfassbare der Simulationsanlage wird ihm durch die Installation in Teilen nachvollziehbar. Dem Betrachter vermittelt sich das Gef�hl, selbst in das Geschehen einbezogen zu sein und aktiv in dieses eingreifen, in ihm gar als Forscher mitwirken zu k�nnen. Das Wandbild reflektiert � wie auch das Video � die Arbeit der Wissenschaftler. W�hrend jedoch das Video den pers�nlichen Standpunkt einzelner Mitarbeiter des Umweltbundesamtes referiert, ist hier ein �bergreifender Blickwinkel bezogen. Der analytische, das Ganze in Segmente und individuelle Standpunkte zergliedernde Blick ist in ein synthetisches Gesamtbild eingeschmolzen. Die verbindende Klammer bildet ein den Apparaturen �hnlicher gr�ner Rohrverlauf, mit dem die einzelnen Zeichnungselemente verkn�pft sind. Es vermittelt sich der Eindruck eines immer fortschreitenden Kreislaufs, der die Vorstellung ewigen Werdens und Vergehens der Natur aufzunehmen scheint. Die in diesem Kreislauf auftretenden Wissenschaftler werden ihrerseits in dieses zyklische Konzept eingebunden, wobei sie gleichzeitig diese Dynamik �berwachen, pr�fen und kontrollieren, damit dessen Fortbestand garantierend. Es ist also ein Verh�ltnis von Mensch und Natur, das deren Gleichordnung betont und doch auch hierarchisch verfasst ist. Der Mensch ist der Natur vorgeordnet, ihr doch aber eingebunden und damit subordiniert. Die eindimensionale Relation, so wie in der einf�hrenden kulturgeschichtlichen Betrachtung nachgezeichnet, ist hier durch eine multidimensionale, vielleicht besser gesagt rhizomatisch komplexe Struktur verdr�ngt.
Thema der Installation von Anne Rinn ist folglich der Bezug von Kunst, Wissenschaft und Natur, die zun�chst auf Schnittstellen und �bereinstimmungen untersucht, dann aber auch im Hinblick auf Differenzen betrachtet werden. Die Arbeit der Wissenschaftler, nat�rliche Abl�ufe analysierend zu betrachten, zu simulieren und dann zu kontrollieren, wird in gewisser Weise re-inszeniert, um diesen Prozess auch dem Betrachter nahe zu bringen. Die K�nstlerin identifiziert sich mit dieser Zielsetzung und geht in ihrem Installationsprojekt methodisch vergleichbar vor, um doch auch Unterschiedlichkeiten herauszustellen. Ihr geht es darum, das wissenschaftliche Projekt zu erkl�ren und dem Betrachter nahe zu bringen, doch gleichzeitig die M��igkeit dieses positivistischen Anspruchs aufzuzeigen. F�r sie steht nicht der schon demiurgisch zu nennende Endzweck im Vordergrund, die Natur nach einem selbst formulierten Ziel zu gestalten und damit zu beherrschen. In den Fokus ihrer Arbeit r�ckt der einzelne Mensch mit seinen pers�nlichen Vorstellungen, Gef�hlen und Sorgen. Die Anordnung der zur Skulptur gewordenen Versatzst�cke der Simulationsanlage wie auch die fantastisch anmutende Wandzeichnung l�st beim Betrachter wiederum h�chst individuelle Bilder und Assoziationen aus, die sich in keiner Weise verobjektivieren und wissenschaftlich kategorisieren lassen.
Die f�r die Wissenschaftler und Techniker dieser Simulationsanlage banal und allt�glich gewordenen Ger�tschaften gewinnen in dieser Anordnung eine poetische Qualit�t, die sich nicht mehr ausschlie�lich auf die funktionale Bedeutung reduzieren l�sst. Zum Ausdruck kommt ein Mehrwert, der sich eher emotional und intuitiv, denn rational und logisch erschlie�en l�sst. Damit bezieht sich Anne Rinn auf eine Erkenntnisebene, die der des Wissenschaftlers scheinbar diametral entgegensteht, die doch aber einen wesentlichen Bereich menschlichen Denkens und Wissens ber�hrt und damit gerade eine wesentliche Qualit�t menschlicher Existenz ausmacht. Mit ihrer Installation versetzt die K�nstlerin den Betrachter ihrerseits in eine Art Parallelkonstruktion, in der das Vorgehen des Wissenschaftlers auf einer anderen Ebene simuliert wird. Dem Betrachter vermittelt sich der Eindruck, ganz in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschungsarbeit vorgedrungen zu sein. Doch gerade hier er�ffnet sich ihm �ber die eigentlichen Zielsetzungen der Simulationsanlage hinaus, die Natur in ihrer harmonischen Ordnung zu achten und zu bewahren, die Ahnung, dass es dem Menschen �berhaupt verwehrt ist, die Natur in ihrem ewigen Flie�en selbst gestalten und imitieren zu k�nnen. Dem Menschen bleibt allein das ewige Streben, dieses Ziel zu erreichen, sei es auf dem Wege des Wissenschaftlers, des K�nstlers oder im Zusammenwirken dieser scheinbar sich ausschlie�enden methodischen Ans�tze.
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