Anne Rinn
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Wandzeichnung, Installation, Video
04. November 2010

Eröffnungsrede in der Galerie 5020 in Salzburg
12.03.2008

Einführungsrede zur Ausstellung im Technologiepark Tübingen-Reutlingen
27.04.2006
Reutlinger Generalanzeiger
26.05.2006

Berliner Zeitung
30.03.2005
TIP Nr. 08/2005 Berliner Stadtmagazin
07.04. - 20.04.2005

Edition

Südkurier, Konstanz
25. Februar 2003
St. Gallener Tagblatt
01. März 2003
Katalog
Januar 2003

Mikrokosmos Zeitschrift für Mikroskopie 91, Heft 1 , 2002
Januar 2002

Text auf www.kx-Kampnagel.de (Galerie KX-Kampnagel Hamburg)

Adlershof Magazin (Heft 1, Seite 24 - 28)
November 2000

Kunstverein Zehntscheuer

Galerie Acud, Berlin
Berliner Morgenpost vom Sonntag
31. August 1997
Berliner Tagesspiegel (S. 24)
26. August 1997

KEEP YOUR BOOTS MUDDY
Rede zur Ausstellungseröffnung

Erschienen: 04. November 2010
Medium: Wandzeichnung, Installation, Video
Autor: Christoph Kivelitz

Die Fließ- und Stillgewässersimulation des Umweltbundesamtes ist sicherlich ein ungewöhnlicher Rahmen für eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst. In einem gigantischen Versuchslabor werden hier Bedingungen natürlicher Gewässer simuliert. Störungen und Veränderungen von natürlichen Lebensräumen werden nachvollzogen, um deren Auswirkungen und Möglichkeiten der Regeneration zu ergründen. Anne Rinn bezeichnet ihr künstlerisches Projekt in diesem futuristisch anmutenden Szenarium als Exkursion, geht es doch zunächst darum, durch eine systematische Recherche die alltäglichen Abläufe, Zielsetzungen und Verhaltensmuster der hier arbeitenden Menschen nachzuvollziehen und zu verstehen. So hat ihr künstlerisches Vorhaben zu Teilen den Charakter einer dokumentarischen Reportage. Dieser Aspekt spiegelt sich in besonderer Weise in dem Video, in dem Sequenzen der wissenschaftlichen Arbeit beschrieben und durch sinnfällige Ausschnitte aus Interviews hinterlegt werden. Doch Anne Rinn geht weit über diese reine Dokumentation hinaus. Sie zielt darauf, die für uns kryptisch erscheinende Arbeit des Wissenschaftlers nicht nur selbst zu durchdringen, sondern diese in ihrer gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Bedeutung einer breiteren Öffentlichkeit zuzuführen, damit also die in unserer Gegenwart unüberbrückbar erscheinende Distanz von Wissenschaft und Öffentlichkeit anzutasten. Dabei umreißt sie gleichzeitig Berührungspunkte von Kunst und Wissenschaft, um hierüber Differenzen in der Herangehensweise und Ausrichtung sichtbar werden zu lassen.

Auf einer übergreifenden Ebene betrifft das Projekt Anne Rinns die problematische Wechselwirkung von Mensch und Natur in heutiger Zeit. Damit eröffnet sie ein Themenfeld, das seit der Romantik in immer neuen Konstellationen problematisiert wurde. Ein Widerstreit stellt sich etwa in einem Zitat des englischen Dichters Oscar Wilde dar: Die Natur ist so unbequem. Der Rasen ist hart und buckelig und feucht und wimmelt von schrecklichem Ungeziefer. […] Wäre die Natur wohnlich, dann hätten die Menschen nie die Architektur erfunden, und ich ziehe die Häuser dem freien Himmel vor. In einem Haus fühlen wir uns alle im richtigen Verhältnis. Alles ist uns untergeordnet, für uns und zu unserem Behagen eingerichtet. Selbst der Egoismus, der für ein gesundes Gefühl der menschlichen Würde so unentbehrlich ist, entsteht ganz und gar aus dem Leben im Hause. […]
Mensch und Natur werden hier in ihrer Gegensätzlichkeit empfunden. Die Natur sei dem Menschen feindlich und seiner individuellen Entwicklung zutiefst abträglich. Das Haus als vom Menschen geschaffene Kunstwelt wird dem Natürlichen als positives Gegenbild konfrontiert. Der expressionistische Architekt Paul Scheerbart stellt dem Antagonismus von Mensch und Natur ein hierarchisches Konzept gegenüber: Die Erdoberfläche würde sich sehr verändern, wenn überall die Backsteinarchitektur von der Glasarchitektur verdrängt würde. Es wäre so, als umkleide sich die Erde mit einem Brillanten- und Emailschmuck. Die Herrlichkeit ist gar nicht auszudenken. Und wir hätten dann auf der Erde überall Köstlicheres als die Gärten aus tausend und einer Nacht. Wir hätten dann ein Paradies auf der Erde und bräuchten nicht sehnsüchtig in den Himmel zu schauen.
Die Schöpfung des Menschen vermöge die Erde zu veredeln und einem Paradiesesgarten anzuverwandeln. Das künstlich Geschaffene ist nicht das der Natur Gegensätzliche, wie bei Oscar Wilde, sondern die Vollendung des natürlich Gewordenen. Damit entwirft der Architekt das Konzept einer verweltlichten Religion.
Eine auf Gleichwertigkeit zielende Haltung artikuliert sich demgegenüber beim Maler Paul Cézanne, der Kunst als eine Harmonie parallel zur Natur verstehen wollte. Das Bild sei nicht Repräsentation oder Überhöhung von Natur, sondern dieser gleichwertig – in einer Analogieerfahrung – zur Seite gestellt. Eine Geste der Demut artikuliert sich schließlich bei den modernen Ökologiebewegungen, die versuchen Mensch und Natur wieder in einen harmonischen Einklang zu bringen und eine weitergehende Zerstörung und Vernichtung natürlicher Ressourcen durch eine ganzheitliche Lebenseinstellung zu vermeiden. Diese auf Versöhnung zielende, oftmals missionarisch sich gebende Haltung spiegelt sich im künstlerischen Diskurs von Joseph Beuys wider.

Das Projekt von Anne Rinn ist vor dem Hintergrund dieser Diskussionen zu betrachten. Doch in unserer Gegenwart ist die Gewichtung von Mensch und Natur weitaus vielschichtiger und komplexer als in den zitierten Beispielen.
Ins Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit rückt Anne Rinn Wissenschaftler und Techniker als Menschen, die ihren eigenen Stellenwert in der Laborsituation der Simulationsapparatur beschreiben und gleichzeitig ihren Standpunkt der Natur gegenüber artikulieren. Die Forschungsmitarbeiter umreißen in knappen Statements ihre täglichen, weitestgehend zur Routine gewordenen Verrichtungen und die dadurch bei ihnen ausgelösten Gedanken und Empfindungen. Sie schildern, dass die erste Begegnung mit der Simulationsanlage bei ihnen Respekt und Faszination ausgelöst habe. Die dabei gewählten Worte evozieren Naturbeschreibungen aus der Zeit der Romantik, scheint doch auch hier eine Haltung von Erhabenheit und Demut angesichts kaum fassbarer Größe durch, der romantisch gefärbten Betrachtung eines Bergpanoramas oder einer endlos scheinenden Meereslandschaft durchaus vergleichbar. Der Mensch figuriert hier als verschwindendes Räderwerk in einer gigantischen Maschinerie, der ein Eigenleben innezuwohnen scheint, die aber ohne Pflege und Wartung durch den Menschen zum Stillstand kommen würde.
Gleichzeitig ist es aber wiederum der Mensch, der die harmonischen Abläufe – etwa durch Hinzufügen von Giften oder durch Veränderung von Strukturen – aufbricht und Störungen in das System einbringt, um dann wiederum Möglichkeiten zu erforschen, die ursprüngliche Harmonie wieder herzustellen. Die Vergleichsgröße ist dabei immer wieder das natürliche Ökosystem, wird doch eine möglichst große Identität zwischen der Simulationsanlage und dem natürlichen Gewässer vorausgesetzt.
Die Simulationsanlage funktioniert also in gewisser Weise parallel zur Natur, wobei doch auch Abweichungen zu beobachten sind. Eine im Video zu Wort kommende Wissenschaftlerin betont etwa ausdrücklich, dass zwei Vergleichspflanzen mit identischem Gewicht in der Ausformung der Blätter völlig unterschiedlich sein können, wird doch unter künstlichen Bedingungen eine Art Krüppelwachstum und maximale Verdichtung der Materie – im Sinne der Anpassung an das künstliche System – befördert.
Die ausgewählten Statements der Forschungsmitarbeiter lassen deutlich werden, dass ihre Einstellung gegenüber der Simulationsanlage in vergleichbarer Weise komplex und widersprüchlich ist wie der Natur selbst gegenüber. So sind sie sich zwar bewusst, selbst Erfinder und Schöpfer der gesamten Anlage gewesen zu sein. In ihrem Funktionieren habe diese sich jedoch als eigenwertiger Organismus von ihnen abgelöst, um eine eigene Dynamik zu entwickeln. Der Mensch hat sich nunmehr den durch ihn selbst freigesetzten Kräften zu unterwerfen, sich ihnen einzuordnen, um sich jedoch gleichzeitig außerhalb und über diese zu stellen, ist er doch befähigt, das System zu stören, zu verändern und zu analysieren, letztendlich auch zu zerstören. In ähnlicher Weise paradox ist die Beziehung des Menschen zur Natur, aus der er als biologisch determiniertes Lebewesen hervorgegangen ist. Als solches ist er von ihrem Fortbestand und ihrer harmonischen Ordnung abhängig, um sich doch aus ihr herauszulösen, sich ihr zu entfremden und sich über sie zu erheben, sich der Gefahr der Zerstörung seines Lebensraumes bewusst.
Die Simulationsanlage versteht sich so letztendlich gar als ein gigantisches Kunstobjekt, das die Natur – einem Landschaftsbild durchaus vergleichbar – repräsentiert und ihr analog funktioniert, ohne mit ihr vollends identisch werden zu können. Gleichzeitig figuriert sie eine Art Idealbild, das der Natur vorgeordnet ist, können hier doch Situationen künstlich herbei geführt werden, die Lösungen für Störungen im Ökosystem antizipieren und die Möglichkeit einer Wiederherstellung von Harmonie suggerieren. Das Verhältnis zwischen der Apparatur und der Natur ist so durch eine permanente Spannung von Annäherung und Differenz gekennzeichnet.

Anne Rinn greift nun also in dem ihr zur Verfügung gestellten Raum Fragmente aus dieser Simulationsanlage auf, um sie im Rahmen ihrer Installation als Fundstücke wie Skulpturen zu isolieren und damit von ihrem ursprünglichen Zusammenhang abzukoppeln. Dieser funktionale Kontext wird auf einer Ebene durch die Videoarbeit, in einer der Rinnen ausgestellt, sowie durch die alles verbindenden Zeichnungen neu konstruiert, gleichzeitig aber aus einer erweiterten Perspektive neu betrachtet.
In der zentralen Wandarbeit, einer technischen Konstruktionszeichnung durch die Betonung der Umrisslinien nahe stehend, nimmt die Künstlerin Segmente der Gerätschaften der Simulationsanlage skizzenhaft auf, untereinander durch Linien, Rohre und Schläuche verbunden. Schemenhaft in dieses Geflecht eingebunden sind auch einige der in Schutzanzüge vermummten Wissenschaftler, die hier jedoch weniger als Akteure als vielmehr als Bestandteile dieses Systems in Erscheinung treten. Anne Rinn verschiebt das wissenschaftliche Geschehen hier in gewisser Weise auf eine Metaebene, auf der sich das Verhältnis von Mensch, Wissenschaft und Natur vielfach gebrochen widerspiegelt. Die Simulationsanlage ist ja schon eine Parallelkonstruktion zur Natur, wie oben ausgeführt einem Landschaftsbild vergleichbar. Diese Parallelkonstruktion wird nun selbst zum Thema der künstlerischen Arbeit Anne Rinns, gleichermaßen aber auch das Verhältnis der Anlage zum Naturvorbild und der Stellenwert des Menschen zu beiden Bezugsebenen.
Das für den unvoreingenommenen Betrachter Ungreifbare und Unfassbare der Simulationsanlage wird ihm durch die Installation in Teilen nachvollziehbar. Dem Betrachter vermittelt sich das Gefühl, selbst in das Geschehen einbezogen zu sein und aktiv in dieses eingreifen, in ihm gar als Forscher mitwirken zu können. Das Wandbild reflektiert – wie auch das Video – die Arbeit der Wissenschaftler. Während jedoch das Video den persönlichen Standpunkt einzelner Mitarbeiter des Umweltbundesamtes referiert, ist hier ein übergreifender Blickwinkel bezogen. Der analytische, das Ganze in Segmente und individuelle Standpunkte zergliedernde Blick ist in ein synthetisches Gesamtbild eingeschmolzen. Die verbindende Klammer bildet ein den Apparaturen ähnlicher grüner Rohrverlauf, mit dem die einzelnen Zeichnungselemente verknüpft sind. Es vermittelt sich der Eindruck eines immer fortschreitenden Kreislaufs, der die Vorstellung ewigen Werdens und Vergehens der Natur aufzunehmen scheint. Die in diesem Kreislauf auftretenden Wissenschaftler werden ihrerseits in dieses zyklische Konzept eingebunden, wobei sie gleichzeitig diese Dynamik überwachen, prüfen und kontrollieren, damit dessen Fortbestand garantierend. Es ist also ein Verhältnis von Mensch und Natur, das deren Gleichordnung betont und doch auch hierarchisch verfasst ist. Der Mensch ist der Natur vorgeordnet, ihr doch aber eingebunden und damit subordiniert. Die eindimensionale Relation, so wie in der einführenden kulturgeschichtlichen Betrachtung nachgezeichnet, ist hier durch eine multidimensionale, vielleicht besser gesagt rhizomatisch komplexe Struktur verdrängt.
Thema der Installation von Anne Rinn ist folglich der Bezug von Kunst, Wissenschaft und Natur, die zunächst auf Schnittstellen und Übereinstimmungen untersucht, dann aber auch im Hinblick auf Differenzen betrachtet werden. Die Arbeit der Wissenschaftler, natürliche Abläufe analysierend zu betrachten, zu simulieren und dann zu kontrollieren, wird in gewisser Weise re-inszeniert, um diesen Prozess auch dem Betrachter nahe zu bringen. Die Künstlerin identifiziert sich mit dieser Zielsetzung und geht in ihrem Installationsprojekt methodisch vergleichbar vor, um doch auch Unterschiedlichkeiten herauszustellen. Ihr geht es darum, das wissenschaftliche Projekt zu erklären und dem Betrachter nahe zu bringen, doch gleichzeitig die Müßigkeit dieses positivistischen Anspruchs aufzuzeigen. Für sie steht nicht der schon demiurgisch zu nennende Endzweck im Vordergrund, die Natur nach einem selbst formulierten Ziel zu gestalten und damit zu beherrschen. In den Fokus ihrer Arbeit rückt der einzelne Mensch mit seinen persönlichen Vorstellungen, Gefühlen und Sorgen. Die Anordnung der zur Skulptur gewordenen Versatzstücke der Simulationsanlage wie auch die fantastisch anmutende Wandzeichnung löst beim Betrachter wiederum höchst individuelle Bilder und Assoziationen aus, die sich in keiner Weise verobjektivieren und wissenschaftlich kategorisieren lassen.

Die für die Wissenschaftler und Techniker dieser Simulationsanlage banal und alltäglich gewordenen Gerätschaften gewinnen in dieser Anordnung eine poetische Qualität, die sich nicht mehr ausschließlich auf die funktionale Bedeutung reduzieren lässt. Zum Ausdruck kommt ein Mehrwert, der sich eher emotional und intuitiv, denn rational und logisch erschließen lässt. Damit bezieht sich Anne Rinn auf eine Erkenntnisebene, die der des Wissenschaftlers scheinbar diametral entgegensteht, die doch aber einen wesentlichen Bereich menschlichen Denkens und Wissens berührt und damit gerade eine wesentliche Qualität menschlicher Existenz ausmacht. Mit ihrer Installation versetzt die Künstlerin den Betrachter ihrerseits in eine Art Parallelkonstruktion, in der das Vorgehen des Wissenschaftlers auf einer anderen Ebene simuliert wird. Dem Betrachter vermittelt sich der Eindruck, ganz in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschungsarbeit vorgedrungen zu sein. Doch gerade hier eröffnet sich ihm über die eigentlichen Zielsetzungen der Simulationsanlage hinaus, die Natur in ihrer harmonischen Ordnung zu achten und zu bewahren, die Ahnung, dass es dem Menschen überhaupt verwehrt ist, die Natur in ihrem ewigen Fließen selbst gestalten und imitieren zu können. Dem Menschen bleibt allein das ewige Streben, dieses Ziel zu erreichen, sei es auf dem Wege des Wissenschaftlers, des Künstlers oder im Zusammenwirken dieser scheinbar sich ausschließenden methodischen Ansätze.